Krankheitsbild
Was ist das Wiedemann-Steiner-Syndrom?
Das Wiedemann-Steiner-Syndrom (WSS) ist eine seltene genetische Erkrankung, die verschiedene körperliche, kognitive und entwicklungsbezogene Auffälligkeiten verursacht. Die Symptome sind individuell unterschiedlich ausgeprägt und reichen von Wachstumsverzögerungen und muskulärer Hypotonie bis hin zu Lernschwierigkeiten und besonderen Gesichtsmerkmalen.
Das Syndrom wurde erstmals 1989 von Dr. Beatrice Wiedemann und Dr. Robert Steiner beschrieben. Die Ursache ist eine Mutation im KMT2A-Gen (früher MLL-Gen) auf Chromosom 11, das eine Schlüsselrolle in der Genregulation während der Entwicklung spielt. Die Mutation tritt in den meisten Fällen spontan (de novo) auf, das heißt, sie wurde nicht von den Eltern vererbt, sondern ist während der frühen Embryonalentwicklung entstanden.
Von der ersten Auffälligkeit bis zur Diagnose
Da das Wiedemann-Steiner-Syndrom mit einer Vielzahl unspezifischer Symptome einhergeht, bleibt es oft lange unerkannt. Der Weg zur Diagnose umfasst in der Regel mehrere Schritte:
1. Erste Auffälligkeiten und Verdacht
Eltern oder Ärzte bemerken häufig Entwicklungsverzögerungen oder körperliche Besonderheiten, die den Verdacht auf eine genetische Erkrankung aufkommen lassen. Typische erste Hinweise können sein:
Verzögerte motorische und sprachliche Entwicklung
Niedriges Geburtsgewicht und langsames Wachstum
Auffällige Gesichtsmerkmale, darunter buschige Augenbrauen und eine schmale Oberlippe
Erhöhte Körperbehaarung (Hypertrichose)
·Muskelschwäche und allgemeine Hypotonie
2. Vorstellung beim Facharzt und genetische Beratung
Kinderärzte oder Entwicklungsneurologen überweisen betroffene Familien oft zu einem Humangenetiker. Dort erfolgt eine umfassende Untersuchung, in der sowohl körperliche Merkmale als auch Entwicklungsgeschichte und familiäre Hintergründe betrachtet werden.
3. Genetische Testung und Diagnose
Die endgültige Diagnose wird durch einen genetischen Test gestellt. Meist kommt eine Panel-Diagnostik oder eine Exom-Sequenzierung zum Einsatz, bei der nach Mutationen im KMT2A-Gen gesucht wird. Falls eine Mutation in diesem Gen nachgewiesen wird, bestätigt sich die Diagnose Wiedemann-Steiner-Syndrom.
Häufigkeit und Statistik
Das Wiedemann-Steiner-Syndrom gehört zu den seltenen Erkrankungen. Weltweit sind derzeit etwa 800 Fälle dokumentiert. Aufgrund der Seltenheit wird die tatsächliche Prävalenz auf weniger als 1 zu 1.000.000 geschätzt.
In Deutschland gibt es keine genauen Zahlen, aber basierend auf den weltweiten Daten kann davon ausgegangen werden, dass es nur eine sehr geringe Anzahl diagnostizierter Fälle gibt. Viele Betroffene erhalten erst spät eine korrekte Diagnose oder bleiben gänzlich unerkannt.
Häufige Fehldiagnosen
Mit welchen Erkrankungen wird WSS verwechselt?
Da viele der Symptome nicht spezifisch für das Wiedemann-Steiner-Syndrom sind, kann es mit anderen genetischen Syndromen verwechselt werden. Häufige Fehldiagnosen sind:
Kabuki-Syndrom : Ähnlich in Bezug auf Entwicklungsverzögerungen, charakteristische Gesichtszüge und Skelettanomalien
Coffin-Siris-Syndrom: Zeigt ebenfalls geistige Beeinträchtigungen, grobe Gesichtszüge und fehlgebildete Finger
Cornelia-de-Lange-Syndrom: Ähnlich in Bezug auf Wachstumsverzögerung und auffällige Gesichtszüge
Rubinstein-Taybi-Syndrom: Geteilte Merkmale wie breite Daumen, geistige Beeinträchtigung und markante Gesichtsform
Aufgrund dieser Überschneidungen ist eine genetische Diagnostik essenziell, um Klarheit zu schaffen.
Behandlung und Unterstützung
Da das Wiedemann-Steiner-Syndrom nicht heilbar ist, konzentriert sich die Behandlung auf die Förderung der individuellen Entwicklung und das Management begleitender Symptome. Dazu gehören:
Frühförderung zur Unterstützung von Sprache und Motorik
Physio- und Ergotherapie zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination
Logopädie für eine bessere Sprachentwicklung
Regelmäßige medizinische Untersuchungen, um gesundheitliche Herausforderungen frühzeitig zu erkennen
Leben mit WSS
Jede betroffene Familie steht vor individuellen Herausforderungen, aber mit der richtigen Unterstützung können Kinder mit WSS Fortschritte machen und eine hohe Lebensqualität erreichen. Der Austausch mit anderen Betroffenen, eine frühzeitige Therapie und eine individuelle Förderung sind entscheidend.
Der Wiedemann-Steiner-Syndrom Deutschland e.V. bietet betroffenen Familien eine Anlaufstelle für Unterstützung, Austausch und Information.